Sehnsucht nach Langsamkeit
© Hubert Schwärzler

Sehnsucht nach Langsamkeit

Interview mit Hubert Schwärzler

Hubert Schwärzler wünscht sich für Lech eine Entschleunigung – nicht nur auf den Skipisten – und mehr Lang- statt Kurzzeiturlauber. Fast vier Jahrzehnte begleitete er an der Spitze von Lech Tourismus den Wandel des Ortes vom unbekannten Bergdorf zum internationalen Wintersportzentrum, bevor er 2001 in den Ruhestand ging. Was „Mister Lech“ (so sein Spitzname) dabei erlebte, welche Steine er aus dem Weg räumen musste und ob früher wirklich alles besser war, verrät er im Interview mit La Loupe.

L.L./ Als Sie Tourismusdirektor wurden, sah Lech anders aus als heute. Wie muss man sich den Ort 1966 vorstellen?

H.S./ Damals ging es sportlich und vielfach einfacher zu. Man übernachtete zum Teil sogar noch in Mehrbettzimmern, und in den noch wenig vorhandenen Hotel-Restaurants wurde in bis zu drei Schichten gegessen. Gäste saßen auf der Stiege und warteten geduldig auf freie Plätze an den Tischen. Die meisten waren in einer Skigruppe und hatten dort auch nach dem Skitag große Gaudi, Privatlehrer gab es wenige. Man war überglücklich, wenn man einen Sitz im Sessellift zum Madloch ergattert hatte, man war aber auch schon glücklich, wenn jemand anders die Skier im Lift mit auf den Berg nahm, während man selbst zu Fuß hinaufstapfte. Der Fünf-Uhr-Tee war sehr wichtig, es gab fröhliche Schnapsrunden, und abends ging man ins Kino. Die Gäste blieben zwei bis drei Wochen, sie hatten Zeit und suchten Abwechslung. Manchmal war Lech aufgrund der Lawinengefahr tagelang von der Außenwelt abgeschnitten, die Schneeräumung war ja technisch noch nicht so weit. Früher war alles geruhsamer.

„Ich habe mich früh der Internationalisierung Lechs verschrieben, ich hatte die Vision, das Dorf in ein bekanntes Skizentrum zu verwandeln.“

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© Hubert Schwärzler

L.L. / Sie waren 40 Jahre im Amt – eine lange Zeit. Wie ist es Ihnen gelungen, ständig neue Ideen zu entwickeln und erfolgreich zu sein?

H.S./ Das war ein bisschen wie Sport. Man setzte sich Ziele und fragte sich: Schaffe ich das? Damals brauchte es nicht für alles Verträge, es genügte noch der Handschlag. Dieses Vertrauen wollte man natürlich nicht enttäuschen. Alle haben an einem Strang gezogen, und man war froh, wenn man mal wieder gemeinsam etwas geschafft hatte. Ich habe mich früh der Internationalisierung Lechs verschrieben, hatte die Vision, das Dorf in ein bekanntes Skizentrum zu verwandeln. Das ist geglückt. Ich habe Fremdsprachen gelernt, zuerst Englisch in einem Reisebüro in London, dann Französisch an der Alliance Française und bei der Österreich Werbung, und viel später noch Italienisch. Uns machte damals das „Jänner-Loch” zu schaffen, die Gästeflaute nach den Schulferien. Da habe ich erkannt, dass in Übersee die Menschen im Januar Ferien haben, und so haben wir Gäste von dort geholt. Unsere Skilehrer sind als Botschafter in die Welt hinausgegangen, haben den Arlberg in Chile, Argentinien, USA, Kanada, Australien und Neuseeland bekannt gemacht. Und wir stellten Fremdsprachensekretärinnen ein. Sie nahmen den Betreibern kleinerer Häuser, die keine Fremdsprachen beherrschten, die Gästekorrespondenz ab. Ich hielt mich immer an das Credo: „Walk in your customer‘s shoes“, um die Gäste zufriedenzustellen. Lech Zürs war mit allem sehr früh dran und anderen Skiorten weit voraus. Mittlerweile haben sich die Orte angeglichen.

„Tagesaufenthalte zu bewerben halte ich für überflüssig. Gäste sollten für längere Aufenthalte gewonnen werden.“

L.L./ Gibt es etwas, was Sie in Ihrer Karriere gerne gemacht hätten, was aber nicht geklappt hat?

H.S./ Es gab ein paar verpasste Chancen. In den 1970ern habe ich einen Golfplatz angeregt und Ideen eines bekannten Golf-Architekten eingeholt. Eine Gruppe von Funktionären übernahm die Betreibung des Projekts, kam aber nicht voran. Auch spätere Initiativen führten zu keinem Ergebnis. Seit wenigen Jahren haben wir nun glücklicherweise unseren schönen Neun-Loch-Platz. In Colorado hab ich das erste Mal ein Mountainbike gesehen. Die geplante Europapremiere in Lech stieß auf Ablehnung, ebenso das Thema Reiten. Was wir hingegen durchgesetzt haben, ist die Skifahrer- Obergrenze. In den 1970ern wurde Lech überflutet mit Tagesbesuchern, es herrschte Verkehrschaos. Das sorgte für Unmut. Da zogen wir die Notbremse und führten ein Gästelimit ein.

„Früher war alles geruhsamer.“

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© Hubert Schwärzler

L.L./ Man sagt ja immer: „Früher war alles besser“. Gilt das auch für Lech?

H.S./ Ich glaube nicht. Die Menschen hatten eine bescheidenere Lebensqualität und mussten enorme Aufbauarbeit leisten. Aber natürlich gibt es Dinge, die besser waren. Auf der Piste ging es nicht darum, möglichst viele Kilometer zu fahren. Heute powern sich viele Menschen so aus, dass sie spätestens am Nachmittag vor lauter Überforderung zur Gefahr für andere Skifahrer werden. Früher nahm man mehr Rücksicht auf den anderen, man hat ihn ja gebraucht. Einer allein konnte wenig ausrichten, und so gab es mehr Gemeinschaftssinn. Dieser war übrigens während des Hochwassers wieder zu spüren.

„Der Gast will heute in ganz kurzer Zeit ganz viel erleben. No fear, no fun.“

L.L./ Wie hat sich der Gast verändert?

H.S./ Der Gast will heute in ganz kurzer Zeit ganz viel erleben. No fear, no fun. Wettbewerb statt Urlaub. Ich frage mich: Ist das wirklich notwendig? Ich bin bald 80 und fühle mich nicht mehr sicher, wenn mir beim Skifahren jemand im Nacken sitzt. Vielleicht wären getrennte Pisten für Schnellfahrer und Anfänger und Senioren überlegenswert. Schön wäre eine Verlangsamung. Tagesaufenthalte zu bewerben halte ich für überflüssig. Gäste sollten wieder verstärkt, auch mit besonderen Anreizen, für längere Aufenthalte gewonnen werden. Dies wäre auch ein wesentlicher Beitrag zum Klimaschutz.

„Auf der Piste ging es früher nicht darum, möglichst viele Kilometer zu fahren.“

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© Hubert Schwärzler

L.L./ Ihre prägendsten Erlebnisse in Lech?

H.S./ Mir wurde schon mit Anfang 20 die Möglichkeit geboten, internationale Kontakte zu knüpfen und Ideen umzusetzen. Das brachte mir den Spitznamen „Mister Lech“ ein. Eine schöne Fügung war auch, dass ich meine Frau Isolde kennengelernt habe, eine Lecherin, deren Familie mich herzlich aufgenommen hat. Gemeinsam gründeten wir den Haldenhof, der heute von unseren Kindern weitergeführt wird. Er ermöglichte mir einen direkten Kontakt zu Gästen und diente mir als eine Art Marktforschungsinstitut.

„Früher nahm man mehr Rücksicht auf den anderen, man hat ihn ja gebraucht.“

L.L./ Wenn Sie die Möglichkeit hätten, Lech neu zu erschaffen – was würden Sie anders machen?

H.S./ Ich würde mir eine Verlangsamung und mehr Respekt vor der Natur wünschen. Es ist kein Geheimnis, dass ich mit der Gestaltung unseres neuen Zentrums nicht froh bin. Jahrhundertelang wurde auf das Ortsbild geachtet, und so ist Lech bisher ein schönes Dorf geblieben. Generell sollten wir die Zukunft wieder viel mehr selbst in die Hand nehmen und weniger auf Berater von außen setzen. Wir wissen doch selbst am besten, was für uns gut ist.

„Ich weiß von mir selbst: Wenn du nur einen Tag an einem Ort warst, kennst du ihn nicht.“

L.L./ Beim Wettrüsten in der Hotellerie wird viel kopiert. Was ist in Lech immer noch einzigartig? Und was wünschen Sie Lech für die Zukunft?

H.S./ Lech ist eine wunderbare Ski-Landschaft und eine ebenso wunderbare Sommerlandschaft. Wir sind leicht erreichbar, es gibt in vielen Bereichen tolle Angebote. In anderen, etwa beim Kinderangebot, müssen wir noch arbeiten. Veranstaltungen sollten primär Ortsgäste ansprechen und müssen nicht unbedingt auf Tagesbesucher oder Medienaufmerksamkeit ausgerichtet sein. Ich weiß von mir selbst: Wenn du nur einen Tag an einem Ort warst, kennst du ihn nicht. Die Übernachtung gehört dazu.

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© Hubert Schwärzler

WORDRAP MIT HUBERT SCHWÄRZLER

Lech in einem Satz:
Ein wunderschönes Winterparadies und ein naturnaher Sommerort.

Mein Lieblingsort in Lech:
Die Berge. Dort oben den Tag begrüßen oder verabschieden.

Mein „private luxury moment“:
Tiefschneehänge im Winter.

Wenn ich nicht Tourismusdirektor geworden wäre, dann…
hätte ich auch etwas mit Menschen gemacht.

Meine privaten Urlaubsziele:
Hobbybedingt – ich jage und golfe – fahre ich gerne nach Schottland und ins Burgenland. Oder auch mal ans Meer, das ist ein schöner Kontrast zu den Bergen.

Mein Lebensmotto:
Leben und leben lassen.

Hotel Haldenhof

Map icon Tannberg 347, 6764 Lech am Arlberg

Phone icon +43 5583 / 24440

Email icon schwaerzler@haldenhof.at

Website icon www.haldenhof.at

Inside story

Schon als Bub verbrachte Hubert Schwärzler regelmäßig die Ferien im Sommerlager in der Region Lech. Als Erwachsener und in der Reisebranche tätig, kehrte er 1961 aus Hörbranz dorthin zurück – zunächst als Gästebetreuer, fünf Jahre später wurde er Direktor des Fremdenverkehrsamts. Hubert Schwärzler war selbst Hotelier: 1969 gründete er mit seiner Frau das Vier-Sterne-Hotel Haldenhof, heute geführt von Sohn Michael und seiner Frau Claudia. 2002 entstand aus dem ehemaligen Kino das Vier-Sterne-Chalet Anna Maria von Tochter Andrea und ihrem Mann Günther Riegler. Hubert Schwärzler war Mitbegründer von „Best of the Alps“, einem europäischen Zusammenschluss, der Tourismusorte gemeinsam in Übersee vertritt, und ist Ideengeber des erfolgreichen Lechwegs.


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