Lech – Hauptstadt des Denkens
Michael Köhlmeier © Philosophicum

Lech – Hauptstadt des Denkens

La Loupe im Gespräch mit Michael Köhlmeier, Initiator des Philosophicums Lech

In den zwanzig Jahren seines Bestehens hat sich das Philosophicum Lech im deutschsprachigen Raum einen großen Namen gemacht. Mit zahlreichen hochkarätigen Gästen lädt es auch dieses Jahr im September zu spannenden Diskussionen über die brennenden Fragen unserer Zeit ein. Der Mann hinter der renommierten Vortragsreihe ist Literat Michael Köhlmeier. Gemeinsam mit dem Lecher Bürgermeister Ludwig Muxel ließ er das Symposium zu einer festen philosophischen Institution im Alpenraum werden. Im Gespräch mit La Loupe gibt der Schriftsteller Einblicke in seine musikalischen Projekte, spricht über seine Vorarlberger Heimat Hohenems und verrät sein persöniches Highlight des diesjährigen Philosophicums.

„Die Berge sind Sensationen. Man glaubt ihnen nicht auf Anhieb. Man hält sie für Gottes Angeberei. Und dann irgendwann tritt ein erstaunlicher Effekt ein: Die Berge lassen uns klein und zugleich groß erscheinen.“

L.L. / Herr Köhlmeier, im September findet das Philosophicum Lech bereits zum 20. Mal statt. Kann man in den Alpen besonders gut über die Welt nachdenken?

M.K. / Die Frage scheint zunächst merkwürdig. Ist sie aber ganz und gar nicht. Ich glaube tatsächlich, in den Bergen kann man gut über die Welt und das Leben nachdenken. Nietzsche hat das gewusst und sich gern in den Bergen aufgehalten. Die Berge sind Sensationen. Man glaubt ihnen nicht auf Anhieb. Man hält sie für Gottes Angeberei. Und dann irgendwann tritt ein erstaunlicher Effekt ein: Die Berge lassen uns klein und zugleich groß erscheinen. Das heißt, sie geben uns das Gefühl teilzuhaben. Aber woran? An dem, woran wir glauben. Manch einer merkt erst in den Bergen, dass er an etwas glaubt. Und dann macht er sich Gedanken darüber, woran er glaubt.

„Jedes Jahr im September ist Lech die Hauptstadt des Denkens. Und das ist die Wahrheit, so wahr mir Sokrates helfe.“

L.L. / Als Initiator haben Sie das internationale Event nach Lech gebracht. Was verbinden Sie persönlich mit dem Ort?

M.K. / Sie sind mir nicht böse, wenn ich das Philosophicum vor dem Begriff „Event“ in Schutz nehmen möchte? An einem Event will ich nicht teilnehmen. Und wenn man der Meinung ist, das Philosophicum sei ein Event, dann entschuldige ich mich dafür. Das wollte ich nicht. Aber Sie dürfen mir glauben, in den zwanzig Jahren habe ich diesen Begriff im Zusammenhang mit dem Philosophicum noch nie gehört. Was mich mit Lech verbindet? Zuerst die Freundschaft mit Bürgermeister Muxel und seiner Familie und mit Paul Pfefferkorn. Dann die Berge. Die Spaziergänge. Und schließlich die vielen guten Gedanken, die ich jedes Mal aus Lech mit nach Hause nehme. Jedes Jahr im September ist Lech die Hauptstadt des Denkens. Und das ist die Wahrheit, so wahr mir Sokrates helfe.

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Michael Köhlmeier © Philosophicum
„Philosophie ist das edelste Spiel des Menschen, und wir wissen ja, nie sind wir ernster bei der Sache, als wenn wir spielen. Tun ohne Spiel ist wie Fressen ohne Genuss.“

L.L. / Die 5-tägige Veranstaltung läuft heuer unter dem Titel ‚Über Gott und die Welt. Philosophieren in unruhigen Zeiten.’ Auf welche Beiträge freuen Sie sich besonders?

M.K. / Auf alle. Auf den Diskurs zwischen Rüdiger Safranski und Herfried Münkler bin ich sehr gespannt. Zwei der größten Denker in unserem Kulturkreis bringen ihre Argumente in Stellung. Ein Wortgefecht auf diesem Niveau – das ist Philosophie vom Feinsten. Anlass dieser Auseinandersetzung war die Problematik der Immigration, aber es geht, wie immer bei der Philosophie, um alles. Philosophie ist das edelste Spiel des Menschen, und wir wissen ja, nie sind wir ernster bei der Sache, als wenn wir spielen. Tun ohne Spiel ist wie Fressen ohne Genuss.

L.L. / Das Programm des Philosophicums ist prall gefüllt mit Vorträgen und Diskussionen. Wenn Sie doch einmal eine längere Pause haben sollten – wie verbringt Michael Köhlmeier seine freie Zeit in Lech? Genießen Sie lieber Natur oder Kulinarik?

M.K. / Wäre ich vor die Alternative gestellt – wie schade! Aber in Lech hat man beides. Und gibt es etwas Schöneres, als mit Freunden in schöner Natur bei einem köstlichen Essen über Philosophie zu reden?

L.L. / Der wissenschaftliche Leiter des Philosophicums, Konrad Paul Liessmann, schreibt in seinem einleitenden Essay, dass es beim heurigen Thema neben den großen Fragen der Menschheit auch um das ‚kleine Glück’ des Einzelnen geht. Was ist Ihr persönliches kleines Glück im Alltag?

M.K. / Wenn ich mich unverhofft an etwas erinnere.

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L.L. / Sie wohnen teilweise in Wien, meist aber in Ihrem Elternhaus in Hohenems/Vorarlberg. Was mögen Sie an diesen so unterschiedlichen Orten besonders?

M.K. / An Hohenems die Vertrautheit. Die alten Wege, denen entlang die alten Gedanken lagern. Die Ruhe. Die vertrauten Menschen. Die Erinnerungen, ich bin hier aufgewachsen. Unser Haus. Unsere Bibliothek, Monika und ich besitzen zehntausend Bücher, das sind unsere Freunde. Wien zu mögen, ist keine Kunst. Wir wohnen in der Nähe vom Naschmarkt, dort verkehren so viele Nationen, täglich höre ich so viele verschiedene Sprachen. Außerdem: Wenn ich das Café Sperl am Morgen betrete, bekomme ich mein Frühstück, ohne dass ich es bestelle. Wo gibt es ein schöneres Museum als das Kunsthistorische Museum? Vor allem liebe ich Wien wegen der vielen Freunde, Künstler die meisten, Musiker, Maler, Schriftsteller, Filmemacher, Fotografen, Schauspieler, Kabarettisten...

L.L. / Wo schreiben Sie am liebsten?

M.K. / An meinem Schreibtisch in Wien oder Hohenems. Aber ich schreibe auch gern im Rail Jet auf dem Platz 62.

„Ich beute mich und mein Leben rücksichtslos und schamlos aus. Der Schriftsteller beginnt dort, wo es den meisten Menschen anfängt, peinlich zu werden.“

L.L. / Aus Ihrem Erfolgsroman ‚Abendland’ stammen folgende Zeilen: „Wann ist eine Geschichte eine gute Geschichte? Wenn sie gebaut ist wie das Leben.“ Wie viel Michael Köhlmeier steckt in Ihren Romanen?

M.K. / Ich verstehe die Frage nicht. Nur ich. Wer sonst. Ich schreibe nicht ab. Aber ich kokettiere. Ich weiß, was Sie meinen. Autobiografisches. Dies und das. Ich beute mich und mein Leben rücksichtslos und schamlos aus. Der Schriftsteller beginnt dort, wo es den meisten Menschen anfängt, peinlich zu werden.

„Der Mensch ist ein erzählendes Tier. Ohne zu erzählen, würden wir keine drei Tage überleben.“

L.L. / Vor Ihrem Erfolg als Bestsellerautor waren Sie in erster Linie als „Nacherzähler“ antiker Sagen und biblischer Geschichten im österreichischen Radio bekannt. Woher stammt Ihre Vorliebe für diese Texte?

M.K. / Ich habe mich immer gefragt, warum nicht alle die antiken Mythen lieben oder die biblischen Geschichten oder Märchen. Ich habe mich seit meiner Kindheit damit beschäftigt. Nicht wissenschaftlich. Als Liebhaber. Der Mensch ist ein erzählendes Tier. Ohne zu erzählen, würden wir keine drei Tage überleben.

L.L. / Wir befinden uns, wie auch im Titel des Philosophicums aufgegriffen wird, in „unruhigen Zeiten“. Glauben Sie, die Menschen haben wieder vermehrt Sehnsucht nach Geschichten, die ihnen in der immer schwerer zu begreifenden Welt Halt geben? Braucht es mehr moderne Märchen oder Sagen?

M.K. / Ein Märchen hilft, sich selbst zu begreifen. Mythen helfen zu begreifen, was zwischen einzelnen Menschen und zwischen Gruppen von Menschen vorgeht – Macht, Gier, Reichtum, Vorurteil... Das Märchen richtet sich an mich, leuchtet hinein in den Abgrund meiner Seele. Der Mythos erzählt von Kollektiven. Shakespeare hat beide Komponenten in seinen Dramen zusammengeführt. Darum ist er der Größte von allen.

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„Theorie führt selten zu einem guten Song. Klemm die Gitarre unter den Arm! Sing einfach! Das genügt.“

L.L. / Auch Musik gibt vielen Menschen Halt und Zuversicht. Gemeinsam mit Reinhold Bilgeri waren Sie in den 1970er Jahren als Duo erfolgreich, insbesondere mit dem Lied „Oho Voralberg“. Nach wie vor schreiben Sie Liedtexte für andere Künstler, meist im vorarlbergerischen Dialekt. Wie wichtig sind Ihnen als international erfolgreicher Autor ihre Herkunft und die traditionelle Sprache?

M.K. / Das ist lange her. Reinhold und ich haben damals unser Studium mit diesem einen Lied finanziert. Der Dialekt singt sich für mich einfacher als die Hochsprache. Und Englisch ist nicht meine Sprache. Mehr Gedanken habe ich mir darüber nicht gedacht. Theorie führt selten zu einem guten Song. Klemm die Gitarre unter den Arm! Sing einfach! Das genügt.

„Ein Traum von mir: wieder eine Band zusammenzustellen – Akkordeon, Pedal Steel, Stehbass und ich an der Gitarre, und wenn sich noch eine Geigerin findet, hereinspaziert!“

L.L. / Ihr letztes Buch, „Das Mädchen mit dem Fingerhut“ erschien im vergangenen Februar. Arbeiten Sie bereits an einem neuen Projekt? Greift Michael Köhlmeier auch wieder einmal zum Mikrofon?

M.K. / Sie meinen, ob ich singen und Gitarre spielen will? Jederzeit. Ein Traum von mir: wieder eine Band zusammenzustellen – Akkordeon, Pedal Steel, Stehbass und ich an der Gitarre, und wenn sich noch eine Geigerin findet, hereinspaziert! Privat auf der Stiege in unserem Haus tu ich’s ja eh jeden Tag. Allein halt.

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Wordrap

Märchen oder Literatur? Literatur.

Im Dialekt träume ich ... nicht.

Mein aktuelles Lieblingsbuch ... Kafka, Erzählungen.

Mein Geheimtipp in Lech ... das Café im Hotel Krone.

Zum Schreiben brauche ich ... mich, Bleistift, Papier.

Stadt oder Land? Stadt.

Inside story

Michael Johannes Maria Köhlmeier, geboren am 15. Oktober 1949 in Hard/Vorarlberg gehört zu den renommiertesten Schriftstellern Österreichs. Für seine literarischen Werke erhielt er zahlreiche Auszeichnungen und Preise, so auch das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse. Seine vielseitige Begabung zeigt sich auch in Theaterstücken, Hörspielen und in der Musik. Gemeinsam mit dem Lecher Bürgermeister Ludwig Muxel gilt er als Initiator des Philosophicums Lech. Michael Köhlmeiers neuestes Buch „Das Mädchen mit dem Fingerhut“ erschien im Frühjahr 2016.


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