„Ich suche die Herausforderung!“
Interview mit Freeride-Weltmeisterin Lorraine Huber
Nach zehn Jahren hält sie ihn endlich in den Händen, den lang verdienten Weltmeistertitel. Die Lecher Freeriderin Lorraine Huber bewies zum Ende der Saison 2017 Nervenstärke und durfte im schweizerischen Verbier jubeln – der Weg zum Sieg war jedoch alles andere als leicht. Das Vorarlberger Ausnahmetalent traf sich zum Interview mit La Loupe und berichtete von ihren Anfängen auf zwei Brettern, von der Entscheidung für den Profi-Sport und zukünftigen Herausforderungen.
„Von klein auf bin ich im Gelände gefahren und das mit einer Gruppe, deren Teilnehmer bis zu dreimal so alt waren wie ich.“
L.L. / Sie wurden als Tochter eines Skilehrers in Lech Zürs geboren – Ihr Talent wurde Ihnen sozusagen schon in die Wiege gelegt. Wann standen Sie das erste Mal auf zwei Brettern? Können Sie sich noch an Ihre ersten Skierfahrungen erinnern?
L.H. / Ich war zweieinhalb Jahre alt – leider kann ich mich nicht mehr daran erinnern. Mein Vater hatte aber eine Super 8-Kamera und hat uns viel gefilmt. Zukünftig wollen wir das Material digitalisieren, dafür fehlt momentan aber leider die Zeit.
Talent alleine reicht meiner Meinung nach nicht aus. Es braucht unter anderem Fleiß und Durchhaltevermögen, um Talent entfalten zu können.
L.L. / Als Sie acht waren zogen Sie nach Torquay/Australien und blieben dort, bis Sie Ihre Highschool abgeschlossen hatten. Haben Sie das Skifahren eigentlich vermisst?
L.H. / Zum Glück hatte ich mit meiner Schwester die Möglichkeit, jedes Jahr nach Lech zurückzukommen. Das war auch die Zeit, die ich mit meinem Papa verbringen konnte, in der Regel fünf bis sechs Wochen. In Australien war dann Sommer, in Lech Winter, wir konnten also viel Skifahren gehen und sind immer mit den Skischulgruppen der Skischule Lech mitgefahren. Ich hatte aber nie ein aufbauendes Skitraining und war auch nie im Skiclub. Von klein auf bin ich im Gelände gefahren und das mit einer Gruppe, deren Teilnehmer bis zu dreimal so alt waren wie ich. Ich kann mich noch gut erinnern: Mit 15 war ich in der 1B Skigruppe und wollte in die beste, in die 1A – und diese am liebsten noch als erste Frau führen. Ich hatte wirklich Biss und Drive. Die erste Woche in der 1B war eine harte Woche, die sehr anstrengend war. Ich fuhr in der Gruppe von Raimund Bischof und habe mich dann so angepasst, dass ich insgesamt sieben Wochen mit ihm unterwegs war. Wir sind damals noch sehr klassisch im Gelände gefahren: kurze Schwünge nahe der Falllinie mit langen, schmalen Skiern, Spur an Spur. Ziel war es, einen schönen Teppich zu fahren. Damals habe ich vor allem gelernt, in jedem Schnee rhythmisch zu schwingen.
„Damals war das Freeriden noch in den Kinderschuhen und es war spannend, in den Anfangsjahren dabei zu sein.“
L.L. / Wann haben Sie dann entschieden, den Wintersport zu Ihrem Beruf zu machen?
L.H. / Mit 27 Jahren begann ich mit dem Profi-Freeride-Sport. Beruflich war ich schon seit ich 16 war, also seit 1996, im Wintersport als Skilehrerin und später als Skiführerin tätig. Bevor ich mich dazu entschied, das Freeriden professionell auszuüben, hatte ich eine schwere Knieverletzung, auf die ein Jahr Reha folgte. Daraufhin habe ich mir einen Winter Zeit geschenkt. Die Arbeit an meinem Freeride Center Sölden, die erste Freeride-Schule Österreichs, führte ich jedoch weiter, ich hatte aber keine Uni mehr und konnte mich gänzlich auf das Skifahren konzentrieren. In dieser Saison habe ich gemerkt, dass ich diesen Sport hauptberuflich ausüben möchte. Damals war das Freeriden noch in den Kinderschuhen und es war spannend, in den Anfangsjahren dabei zu sein. Ich bin eine Spätstarterin und habe mich in umgekehrter Reihenfolge für den Sport entschieden: Zuerst Studium und dann das Freeriden. Für mich hat das aber gut gepasst!
L.L. / Eigentlich wollten Sie in Australien studieren, kehrten aber für einen Winter nach Lech Zürs zurück – und blieben. Vermissen Sie Ihre zweite Heimat manchmal?
L.H. / Ich fahre noch oft hin, weil meine Mama und meine engsten Schulfreundinnen dort leben. Und ja, ich vermisse den Strand und das Meer. Deswegen bin ich auch häufig in Kalifornien, um dort mit meinem Konditionstrainer zu arbeiten. Meine Idealvorstellung wäre wohl, im Winter Berge um mich zu haben und im Sommer das Meer. Ich brauche die Natur und bin sehr mit ihr verbunden, das ist für mich das echte Leben.
„Ich brauche die Natur und bin sehr mit ihr verbunden, das ist für mich das echte Leben.“
L.L. / 2004 nahmen Sie an Ihrem ersten Freeride-Wettbewerb teil, 2017 sind Sie Weltmeisterin. Ging damit für Sie ein Traum in Erfüllung?
L.H. / Es war ehrlich gesagt nicht immer mein Ziel, einige Zeit habe ich auch daran gezweifelt, dass ich es schaffe. Im Nachhinein betrachtet, habe ich wirklich eine starke Entwicklung durchgemacht. Ich war oft von Selbstzweifeln geplagt. Dennoch habe ich im Inneren immer daran geglaubt, und das hat mir den Drive gegeben weiterzumachen. Jetzt bin ich wahnsinnig stolz darauf! Es war ein langer Weg mit einigen Verletzungen und Rückschlägen, ich habe mich aber immer wieder aufgerappelt und durchgehalten. Weil der Gewinn des Weltmeistertitels so lange gedauert und viele Kämpfe gekostet hat, ist der Erfolg umso schöner.
Bereits 2014 bin ich am Weltmeistertitel vorbeigeschrammt, weil ich zum Schluss viel zu nervös war. Nach dieser Zeit und nach einer Verletzung habe ich jedoch verstanden, dass es nicht nur um ein Resultat geht, sondern um das Skifahren in den Bergen, am besten noch mit Freunden. Freude, Erfahrung und die eigene Entwicklung als Skifahrerin und als Mensch sind mir mittlerweile viel wichtiger. Ich habe Erfolg für mich neu definiert, und er hat für mich nichts mit dem Resultat zu tun. Das war ein wichtiger Schritt für mich.
„Weil der Gewinn des Weltmeistertitels so lange gedauert und viele Kämpfe gekostet hat, ist der Erfolg umso schöner.“
L.L. / Was würden Sie jungen Sportlern am Anfang ihrer Karriere raten?
L.H. / Der Fokus sollte auf dem Lernen und Wachsen und weniger auf den Resultaten liegen. Dabei geht es um das ständige Voranschreiten der eigenen Entwicklung. Vergleiche dich also nicht ständig mit anderen, sondern gehe deinen eigenen Weg. Oft muss man sich auch durchbeißen und darf nicht zu schnell aufgeben. Tiefschläge und Fehler muss man lernen positiv zu sehen, sie geben uns die besten Möglichkeiten um zu wachsen. Und auch das Selbstvertrauen muss intakt bleiben, indem man sich passende Herausforderungen und Ziele sucht, das ist ganz wichtig. Nur wenn man sich selbst stärkt, kommt man in den Flow.
L.L. / Jedes Jahr veranstalten Sie in Lech Zürs unter dem Namen „Women’s Progression Days“ Freeride Camps speziell für Frauen. Dabei teilen Sie gemeinsam mit erfahrenen Guides und Coaches Ihr Wissen und Ihre Erfahrung zum Thema Freeriden. Haben Sie das Gefühl, dass Frauen in der Szene mehr Platz im Rampenlicht eingeräumt werden sollte?
L.H. / Bei den Women’s Progression Days möchte ich Frauen zusammenbringen, die bereits im Gelände fahren, aber dies meistens nur mit Männern machen können. Teilnehmerinnen bekommen die Chance, an ihrer Skitechnik zu feilen sowie sich neue Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen, damit sie autonomer im Gelände entscheiden und auch im Notfall handeln können. Bei den Women’s Progression Days haben wir eine tolle Atmosphäre, die Teilnehmerinnen unterstützen und pushen sich gegenseitig – ganz ohne Druck. Für mich sind die Camps ein echtes Highlight im Winter. Und ich finde, dass man Frauen im Freeriden definitiv mehr Platz einräumen sollte. Ich bin mir aber sicher, dass der Trend bereits in diese Richtung geht. Es gibt beispielsweise immer mehr frauenspezifische Produkte und Dienstleistungen. Das hilft sicher!
„Ich habe Erfolg für mich neu definiert, und er hat für mich nichts mit dem Resultat zu tun.“
L.L. / Lech Zürs ist ein wahres Freeride Eldorado. Wo ziehen Sie am liebsten Ihre Spuren durch den glitzernden Tiefschnee? Können Sie uns einen Tipp geben?
L.H. / Das hängt natürlich vom Skifahrer und seinem Können ab. „Zuppert“ ist eine tolle Skiroute, wenn es ein kalter Wintertag ist – hier kann man mit geringem Risiko richtig gut powdern.
L.L. / Sie sind in einigen hochkarätigen Skifilmen, beispielsweise von Warren Miller und Hanno Mackowitz, zu sehen. Außerdem gewannen Sie den „Best Freeride Female“ Award des International Freeski Film Festival in Montreal. Können Sie uns schon etwas zu Ihrem neuen Projekt verraten? Wie unterscheidet sich Ihre Arbeit vor der Kamera von den üblichen Tiefschneeabfahrten?
L.H. / „STRUKTUR: eine Skispur in der Kulturlandschaft“ ist der neue Film von Hanno Mackowitz, den wir hier in Lech Zürs gemeinsam während der letzten zwei Saisonen gedreht haben. Es ist ein zwölfminütiger Dokumentarfilm über die Kulturlandschaft am Arlberg. Viele Freeride-Filme versuchen, die von Menschenhand erbauten Strukturen auszublenden. Dadurch kann beim Zuschauer der Eindruck entstehen, dass wir Freerider uns in einer unberührten Natur bewegen. Die gibt es aber nicht wirklich, und genau diese Botschaft möchten wir mit dem Film transportieren. Wir wollen auf ästhetischer und nicht wertender Weise zeigen, welche Strukturen vorhanden sind und wie der Mensch am Arlberg die Natur dauerhaft geprägt hat. Wir durften uns mit STRUKTUR schon über den Jury-Preis des Filmfest St. Anton 2017 freuen. Der Film wird 2017 sowie 2018 bei diversen anderen Filmfestivals zu sehen sein. Auch in Lech planen wir ein Screening.
Zu den Unterschieden zwischen Film und Contest: Bei letzterem plant man eine einzige Abfahrt über Tage hinweg und hat nur eine Chance seine Leistung abzurufen. Besonders, wenn man dafür in entlegene Gebiete auf der ganzen Welt reist, wird dafür viel Geld, Zeit und Energie aufgewendet. Es ist also eine hohe Herausforderung mit viel Druck. In dieser Situation kann man großen Stress erfahren, damit muss man umgehen können.
Bei Dreharbeiten hat man einen ähnlichen Druck und eine ähnliche Erwartungshaltung, aber viel mehr Chancen seine Leistung abzurufen. An einem guten Filmtag schafft man es, mehrere Lines zu drehen, und es wird generell auf die richtigen Schnee- und Wetterbedingungen gewartet. Contest und Film sind also doch sehr unterschiedlich – und ähneln sich trotzdem: Eine Line im Film könnte genauso eine Contestline sein. Die Energie ist gleich, und es gibt keine Übungsläufe. Für mich sind Filme sehr schöne Projekte, die viel Abwechslung bieten.
„Bei den Women’s Progression Days haben wir eine tolle Atmosphäre, die Teilnehmerinnen unterstützen und pushen sich gegenseitig – ganz ohne Druck.“
L.L. / Sie studieren außerdem gerade Ihren Master in Mentalcoaching an der Universität Salzburg. Welche Bedeutung hat gerade das Mentale auf Sie als Freeriderin? Was möchten Sie mit dem Studium später machen?
L.H. / Der mentale Aspekt hat beim Freeriden eine sehr hohe Bedeutung. Ich würde sagen, dass gerade bei einem Wettkampf 80% vom Erfolg im Kopf stattfindet. Bei den Freeride-Contests besichtigt man das Gelände meistens von gegenüber und muss das Bild folglich im Kopf umdrehen, dafür benötigen Freerider eine starke Visualisierungskompetenz. Außerdem muss man sich auf einen Contest mental gut vorbereiten, um mit dem Druck umgehen zu können – auch hier gibt es große Unterschiede. Skifahren ist die Basis, den Unterschied macht das Psychologische.
Mein Studium ist für meine Zukunft wichtig. Ich habe das große Glück, dass ich seit zehn Jahren meine Leidenschaft zum Beruf machen kann. Oft habe ich mich aber gefragt, was ich nach dem Sport mache und da ist mir wichtig, dass ich etwas mache, was mir weiterhin so gut gefällt. Das mentale Training hat mich sehr interessiert,und ich konnte darin selbst schon viel Erfahrung sammeln. 2015 habe ich begonnen zu studieren und bereite mich also schon während meiner aktiven Skikarriere auf die Zukunft vor, was sicher ein Vorteil ist. In Zukunft möchte ich sowohl mit Athleten als auch im Business-Bereich als Mentalcoach arbeiten. Die Idee ist auch, die Erfahrungen aus dem Sport in andere Lebensbereiche zu transferieren. Ich suche weiterhin die Herausforderung!
Wordrap mit Lorraine Huber
Diese Ziele verfolge ich in der Wintersaison 2017/18: Bei meinen Wettkämpfen im Flow zu sein.
Dieses Freeride-Gebiet möchte ich unbedingt noch ausprobieren: Hakuba Happo in Japan. Dort fliege ich im Jänner 2018 hin.
Lech Zürs bedeutet für mich ... Heimat.
Und Torquay? Zweite Heimat am Meer.
Wenn ich nicht im Backcountry bin, dann ... bin ich am Lernen oder im Büro. Als Profi-Sportlerin bin ich Unternehmerin, und es gibt neben dem Training und den Wettkämpfen immer sehr viel zu tun, ich manage alles selbst.
Meine Notfall-Ausrüstung ... habe ich abseits der Pisten immer dabei.
Women’s Progression Days
Seit 2008 veranstaltet Lorraine Huber Freeride Camps speziell für Frauen. Gemeinsam mit den besten Skiführerinnen und Freeriderinnen am Arlberg verbessern Teilnehmerinnen nicht nur ihre Skitechnik im Gelände, sondern lernen auch die einzigartigen Freeride-Spots am Arlberg kennen. Das sichere Bewegen im alpinen Gelände und der Spaß in idealer Atmosphäre machen die Women’s Progression Days zu einem Highlight in der Wintersaison am Arlberg.
Info: www.lorrainehuber.com/womens-progression-days-by-lorraine-huber
Sponsoren: Bergans of Norway, Lech Zürs, Kästle, Scott Sports, Pieps, Olympiazentrum Vorarlberg (Stand 2017)